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Rechtsrahmen des Grenzregimes in der Volksrepublik Bulgarien

Rumyana Marinova-Christidi & Petar Stoilov

Mit der Errichtung des „Eisernen Vorhangs“ fiel Bulgarien im östlichen Lager unter die Führung der Sowjetunion. Als Mitglied des Warschauer Pakts befand sich der bulgarische Staat in der Schusslinie der Konfrontation, weil „zwei Drittel der bulgarischen Staatsgrenzen in die Welt des Imperialismus führen“. Bulgarien grenzt an Griechenland und an die Türkei, die seit 1952 einen Teil der NATO-Südflanke bildeten. Dies bot sowohl den Bulgaren als auch anderen Ostblockbürgern die Chance, vor dem sozialistischen Regime zu fliehen. Das Ausmaß der Fluchtversuche bezeugt ein Brief aus dem Jahr 1964 des damaligen Verteidigungsministers Generaloberst Dobri Dzurov an das Staatsoberhaupt Todor Shivkov, aus dem hervorgeht, dass allein zwischen 1961 und 1962 insgesamt 1 588 Versuche zu illegalen Grenzüberschreitungen gewagt wurden. Die bulgarische Grenze wurde streng bewacht, um den Weg in den Westen zu versperren. Der illegale Übertritt der Staatsgrenze avancierte zu einem der schwersten Verbrechen während des kommunistischen Regimes. Die zuständigen bulgarischen Staatsorgane bekamen bei der Verhinderung und der Aufklärung solcher Fälle oft Hilfe von ihren Ostblock-Partnern.

Den Funktionären der Bulgarischen Kommunistischen Partei mangelte es an Erfahrung in der Staatsführung (besonders im Bereich der Staatssicherheit und der Abwehr), da sie bis zur Machtergreifung am 09. September 1944 verfolgt worden waren und lediglich Erfahrungen mit den Methoden des illegalen Kampfes (wie subversive Aktivitäten) hatten sammeln können. Daher waren sie in den ersten Jahren ihrer Regierung auf die fachtechnischen Erfahrungen und die praktischen Fertigkeiten ihrer sowjetischen Kollegen angewiesen. Die frühesten Zeugnisse der Grenzüberwachung in der Volksrepublik Bulgarien sind in einem Befehl der Volksmiliz vom 17. Juli 1946 zu finden und haben tatsächlich mit der Arbeit des Alliierten Kontrollrats und des sowjetischen Oberkommandos zu tun. Der Chef der Volksmiliz benachrichtigt seine Untergebenen, das Sowjetische Oberkommando habe ein Grenzgebiet festgelegt, dessen Tiefe 25 Kilometer an der bulgarisch-griechischen und der bulgarisch-türkischen Grenze bzw. 10 Kilometer an der bulgarisch-jugoslawischen Grenze betrage und dessen Betreten verboten sei. Im Dokument wird ausführlich beschrieben, durch welche Siedlungen die Grenze der Sperrzone verläuft sowie welche Regeln im Grenzgebiet gelten: Für die Betroffenen und die Armeeangehörigen aller Staaten ist das Betreten der Sperrzone ausschließlich mit der Genehmigung des Sowjetischen Oberkommandos erlaubt. Man benötigte eine Bescheinigung, um bestimmte Orte im Grenzgebiet besuchen zu können.

Wenige Tage, ehe die Volksrepublik Bulgarien ausgerufen wurde (15. September 1946), wurde die Grenzüberwachung durch das Gesetz für die Schaffung des Grenzschutzdienstes rechtlich geregelt. Es wurde am 27. August 1946 verabschiedet und sah vor, dass militärpflichtige junge Männer zum Grenzschutzdienst einberufen werden. Kurz nach der Gesetzesverabschiedung erhielt der Grenzschutzdienst den Namen „Grenztruppen“ (Granichni voyski). Bis zu diesem Zeitpunkt sorgte das Militär für die Überwachung der Grenze. Es unterstand den Verordnungen der Pariser Friedenskonferenz aus dem Jahr 1946, das heißt, dass Rüstungsbeschränkungen galten und das militärische Personal auf insgesamt 65 000 Menschen reduziert war, darunter 55 000 Menschen bei den Landstreitkräften und den Grenztruppen. Bis Mitte 1946 waren die Kommandostrukturen der bulgarischen Armee durch die Kriegsjahre bestimmt. Auf Vorschlag einer speziellen Regierungskommission wurde dann im Juli 1946 das Gesetz für die Kontrolle und Führung der Armee verabschiedet. Der neugeschaffene Grenzschutzdienst unterstand diesmal dem Innenministerium, das heißt, der Chef, die Offiziere und die Unteroffiziere wurden vom Innenminister ernannt und waren ihm direkt untergeordnet. Der Beschluss wurde dadurch begründet, dass die Aufgaben des Grenzschutzdienstes eine enge Zusammenarbeit mit den Organen des Innenministeriums verlangten, die andernfalls schwer zu organisieren wäre. Zudem kam der Grenzschutzdienst – laut der Verordnung des Ministerrats Nr. 1057 vom 20. Juni 1962 und des Befehls Nr. 228 vom 20. Juni 1962 – bis 1972 unter die Kontrolle des Ministeriums zur Volksverteidigung (genauer: der Gegenspionage), was bedeutete, dass beide Ministerien zu verschiedenen Zeiten für die Grenzsicherung in der Volksrepublik Bulgarien zuständig waren.

Die Hauptaufgaben der Grenztruppen wurden eigentlich erst 1951 ausführlich definiert. Zu ihnen gehörten die Überwachung der Grenzen der Volksrepublik Bulgarien im Frieden und im Krieg, die Kontrolle des Verbots der Grenzüberschreitungen ohne die notwendige Genehmigung und des unreglementierten Waren- und Viehaustauschs, die Kontrolle küstennaher Reisen an den Fluss- und Seegrenzen sowie die Bewahrung der Ordnung und Sicherheit im Grenzgebiet. Bei der Erledigung der definierten Hauptaufgaben durften bzw. mussten die Grenztruppen auch Waffen benutzen. Laut Erlass aus dem Jahr 1951 durften Angehörige des Grenzschutzdienstes ihre Waffen in den folgenden Fällen nur nach einmaliger Warnung benutzen: wenn Personen die Grenze in beide Richtungen illegal überschreiten wollten und dem Befehl zu stoppen und aufzugeben nicht gehorchten; wenn im Grenzgebiet bewaffnete Personen bemerkt wurden und diese die Befehle der Grenztruppen nicht befolgten; wenn Militärangehörige eines benachbarten Landes die bulgarische Grenze überschritten und sich nicht ergeben wollten. Die Grenztruppen durften ohne Warnung schießen, wenn einzelne Personen, eine Gruppe von Personen oder fremde Militärtruppen die Grenzer angriffen.

Die Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen dem Grenzschutzdienst, den Staatssicherheitsorganen und der Volksmiliz wurden durch eine Anweisung geregelt, die am 7. März 1949 in Sofia von den obersten Vertretern der betroffenen Organe unterschrieben wurde. Laut der Anweisung operierten der Grenzschutzdienst, der bulgarische Sicherheitsdienst (Dyrzhavna sigurnost – DS) und die Volksmiliz unabhängig voneinander, waren aber verpflichtet, sich gegenseitig über die eigenen Vorhaben zu informieren. Trotzdem bestätigt das Dokument, dass vor allem der Grenzschutzdienst (dem Innenministerium untergeordnet) für die Sicherheit an den bulgarischen Staatsgrenzen verantwortlich war. Deswegen war er den anderen im Grenzgebiet tätigen staatlichen Behörden übergeordnet, der oberste Operativmitarbeiter im Grenzgebiet war der Chef der Grenzer. Der Grenzschutzdienst durfte selbstständige geheim- und nachrichtendienstliche Tätigkeiten im Grenzgebiet und in einer Tiefe von 25 Kilometern im feindlichen Nachbarland ausüben. Zu den geheimdienstlichen Aufgaben gehörte es, die Mitarbeit der Bevölkerung dieser Gebiete zu gewährleisten, indem ein Agentenapparat und ein Netzwerk von Vertrauenspersonen in den Grenzgebieten geschaffen wurde, die über verdächtige Personen informierten. Es wurde deswegen besonderer Nachdruck auf die politische Bildung der Bevölkerung im Grenzgebiet gelegt. Wurden hierbei nicht die gewünschten Ergebnisse erzielt, kam es – laut Erlass des Politbüros vom 16. November 1950 – auch zu der Umsiedlung der „unzuverlässigen Elemente“.

Der Staatssicherheitsdienst durfte sich in die Arbeit des Grenzschutzdienstes nicht einmischen, sollte sie aber mit allen Mitteln unterstützen. Laut Artikel 14 der Anweisung aus dem Jahre 1949 sollten die Grenzer festgenommene „Straftäter“ dem Staatssicherheitsdienst innerhalb von fünf Tagen übergeben. Dazu erstellte der Grenzschutzdienst ausführliche Dokumente über die Gründe der Festnahme und die relevanten Details und schickte auch ein leeres Formular. Damit ging die Verpflichtung einher, festzustellen, ob der „Straftäter“ ein politischer Flüchtling, Deserteur oder feindlicher Agent sein könnte, das Formular mit seiner Identität auszufüllen und dieses zurückzuschicken. Alle oben erwähnten Regelungen legen eine enge Zusammenarbeit zwischen den staatlichen Behörden in Bezug auf den Grenzschutz und die Verhinderung von illegalen Grenzübertritten nahe.

Organisation, Anlagen und Ausrüstung beim Grenzschutz

Nach der Schaffung des Grenzschutzdienstes im August 1946 wurde die Grenzüberwachung mit Hilfe von sowjetischen Militärs neu organisiert. Die kleinste Grenzschutzeinheit ist der Grenzposten (granichna zastava), der je nach der lokalen operativen Notwendigkeit in vier Kategorien einzuordnen ist – Kategorie I mit 46 Grenzsoldaten, Kategorie II (32), Kategorie III (20) und Kategorie IV (15). Vier bis acht Grenzposten werden von einer Grenzstation (granichen uchastak) verwaltet, während drei bis fünf Grenzstationen einen Grenzsektor (granichen sektor) bilden. Insgesamt befinden sich an den bulgarischen Staatsgrenzen (2 390 km) 42 Grenzstationen und 11 Grenzsektoren, die alle der Grenzlinie nahegelegen sind. Hinsichtlich der militärischen und politischen Bildung der Grenzer, der Disziplin, der Bewaffnung und der Lebensbedingungen ist der Grenzschutzdienst in den ersten Jahren nach seiner Schaffung beträchtlich unterentwickelt. Bei vielen Grenzposten und Grenzstationen fehlt auch einfache Ausrüstung wie Telefonleitungen und Funkkommunikationsgeräte.

Zu Beginn des Jahres 1950 traf eine Gruppe sowjetischer Berater unter der Leitung von Hauptmann Chuguno in Bulgarien ein, die zur Verbesserung der Organisation und der Führungsmethoden beim Grenzschutzdienst beitragen und den Grenztruppen „die zeitgenössische Kunst der Grenzüberwachung“ beibringen sollte. Bei der Ausbildung legten die Sowjets besonderen Nachdruck auf die Notwendigkeit, dass kein illegaler Grenzübertritt unbestraft blieb. Das Politbüro der Kommunistischen Partei förderte den Grenzschutzdienst mit einer Verordnung vom 16. November 1950, laut welcher die folgenden Verbesserungen ermöglicht wurden: Die Reihen der Grenzer wurde verdoppelt, die sanitären Bedingungen bei den Grenzposten wurden verbessert, es wurde ein Lehrplan für die politische Bildung der Soldaten erstellt und es wurden auch die ersten ingenieurstechnischen Überwachungsanlagen, wie umgepflügte Landstreifen zur Spurkontrolle, versteckte Beobachtungsstellen und Maschendraht errichtet. In den folgenden Jahren begann der beschleunigte Aufbau von ingenieurstechnischen Überwachungsanlagen. Laut Erlass des Politbüros vom 10. Mai 1951 wurden insgesamt 36 590 Antipersonenminen entlang der Grenzen gelegt, davon 15 488 an der Grenze zu Jugoslawien, 18 907 an der Grenze zu Griechenland und 2 195 an der Grenze zur Türkei. Seit dem Jahr 1959 waren auch elektrische Signalsysteme in Betrieb, die zum effektivsten Instrument der Grenzüberwachung werden. Der Grenzschutzdienst verfügte über insgesamt 177 solcher Anlagen, die „S-100“ und „Skala“ heißen. Somit wurden zu Beginn der 1950er Jahre die Grundlagen für die professionelle Grenzüberwachung in den folgenden Jahrzehnten gelegt. Der Grenzüberwachung wurde eine hohe Priorität beigemessen.

Insgesamt lassen sich aus den Dokumenten über das Grenzregime in der Volksrepublik Bulgarien einige Schlussfolgerungen ziehen. Zu Beginn des Kalten Krieges waren die Grenzschutzanlagen wie auch die Organisation der an der Grenze tätigen Einheiten rückständig. Die bulgarischen Grenztruppen versuchten zuerst mit Hilfe der Sowjetunion und dann seit den 1960er Jahren vor allem mit Hilfe des MfS schnell aufzuholen. Die Verhinderung von illegalen Grenzübertritten an den bulgarischen Staatsgrenzen war besonders wichtig, weil Bulgarien Mitglied des Warschauer Pakts war und einen Teil des „Eisernen Vorhangs“ bildete. In diesem Sinne betrafen Fluchtversuche nicht nur den bulgarischen Staat, sondern den ganzen Ostblock. Deswegen operierten die Sicherheitsdienste der Ostblockstaaten (darunter auch DS und Stasi) in einer koordinierten Weise unter der Aufsicht des KGB, um Flüchtlinge an den Grenzen zu stoppen. Besonders nach dem Mauerbau wurde ihre Zusammenarbeit durch mehrere Vereinbarungen geregelt, damit Fluchtwilligen der Weg in den Westen versperrt blieb.